„Alles anders als erwartet“ – Leidvolle Geburtserfahrungen

HopelessDer Satz „Auf gar keinen Fall bekomme ich noch ein Kind!“ macht mich in der Regel hellhörig. Wenn ich nach dem Grund frage, lautet die Antwort häufig, dass es weniger mit dem weiteren Kind als mit der Geburt an sich zu tun hat. Die Frau, die eine Geburt als so negativ erlebt hat, dass sie auf gar keinen Fall nochmals in diese Situation geraten möchte, hat wahrscheinlich ein leidvolles, vielleicht sogar traumatisches Geburtserlebnis gehabt.

Geburtserfahrungen an sich sind intensive, sich einprägende Erlebnisse. Wenn sie als negativ abgespeichert werden, können sie Folgen haben, die sich im weiteren Leben störend bis krankmachend bemerkbar machen.

Situationen/ Gründe während der Geburt, die ein Trauma auslösen können:

  • Extrem starkes Schmerzempfinden während der Geburt
  • Sich allein gelassen fühlen
  • Sich ausgeliefert fühlen
  • Eingeschränkte Bewegungsfreiheit (ständige CTG-Präsenz)
  • Operative Eingriffe während der Geburt
  • Zu schneller oder zu langdauernder Geburtsverlauf
  • Fehlendes Einfühlungsvermögen, fehlende Achtsamkeit der  die Geburt begleitenden Personen
  • Erschwertes, verhindertes Bonding
  • Verhinderter erster Körperkontakt zwischen Mutter und Kind
  • Verhindertes, gestörtes Stillen in den ersten Stunden
  • Zerstörung der körperlichen Unversehrtheit
  • Angst um das eigene Leben oder das des Kindes
  • Totgeburt
  • Behindertes, krankes Kind
  • Schuld-/ Versagensgefühle der Mutter, Erschütterung des Selbstwertgefühles, des Vertrauens in den eigenen Körper
  • Unerfüllte Wünsche und Erwartungen an die Geburt

Nicht jede besonders leidvolle Erfahrung muss ein Trauma bedeuten. Die Ereignisse bei der Geburt können extremen Stress auslösen, Gefühle von Ohnmacht, Verzweiflung und Entsetzen erzeugen. Diese Anspannung durch Stress und Angst klingt häufig von alleine wieder ab: Nach ca. 4 Wochen lassen die körperliche Erregung und die Heftigkeit der negativen Gefühle langsam nach, auch wenn das Erlebnis noch viel Raum einnimmt und immer wieder Gesprächsthema ist. Nach ca. 3 Monaten ist die Geburtserfahrung adäquat verarbeitet, die Lebensenergie zurück gekehrt und die Perspektive auf das Geschehene soweit verändert, dass es sich in Zukunft gut damit weiterleben lässt ⇒ posttraumatisches Wachstum (effektive Bewältigung).

Sollten diese – eventuell massiven – Befindlichkeitsstörungen psychisch (seelisch) und/oder psychosomatisch (seelisch-körperlich) länger anhalten, d.h. über das übliche Maß hinausgehen (länger als sechs Wochen), so kann es sich um eine traumatische Erfahrung handeln.

Manche Frau braucht einige Zeit, bis sie bewusst registriert, wie sie die Geburt erlebt hat. Der Start mit dem Baby ist aufregend, alles ist neu, manches anstrengend, der Körper ist mit der Rückbildung beschäftigt, das Stillen hat sich noch nicht richtig eingespielt, die Nächte sind unruhig, schlaflos … Da bleibt nicht viel Raum für die eigenen Bedürfnisse und die Wahrnehmung der Gefühle.

Vielleicht kommt die Erinnerung auch erst in einer erneuten Schwangerschaft wieder hoch.
Manche Spätfolgen (wie z.B. unerklärliche Panikattacken) treten vielleicht erst nach Jahren auf.
Viele Frauen fühlen sich unverstanden mit dem, was sie erlebt haben und was es in ihnen auslöst.


Das körperliche Trauma wird definiert als Wunde, Verletzung, Gewalteinwirkung von außen auf den Körper.

„Unter dem Begriff des psychischen Traumas versteht man eine seelische Verletzung, zu der es bei einer Überforderung der psychischen Schutzmechanismen durch ein traumatisierendes Erlebnis kommen kann. Als traumatisierend werden im Allgemeinen Ereignisse wie schwere Unfälle, Erkrankungen und Naturkatastrophen, aber auch Erfahrungen erheblicher psychischer, körperlicher und sexueller Gewalt sowie schwere Verlust- und Vernachlässigungserfahrungen bezeichnet.“
(Quelle: DeGPT – Wer sich eingehender über posttraumatische Belastungsstörungen informieren möchte, kann dort nachlesen.)

Wir Menschen sind individuelle Wesen, so dass wir scheinbar gleiche Erlebnisse ganz unterschiedlich einordnen und verarbeiten. Was für den einen eher gut auszuhalten ist, zeichnet sich für den anderen als tiefgreifende Verletzung ab. Dies findet sich auch im Schmerzempfinden wieder und ist von unterschiedlichsten Faktoren abhängig (z.B. von unserer Vorgeschichte, von der Ausprägung der Angst in einer Stresssituation, von den begleitenden Personen, von äußeren Einflüssen und Umständen).


Die Auslöser für eine leidvolle Geburtserfahrung können vielfältig sein, es handelt sich sowohl um körperliche als auch psychische Erlebnisse, was  häufig bei Geburten in der Kombination vorkommt:

In der Frau begründet, z.B.:

  • Schmerzen
  • Ängste/ Panik
  • Erwartungen der Frau an die „perfekte Geburt“/ an sich selbst

Durch die Geburtssituation (medizinisch, Rahmenbedingungen) z.B.:

  • Medizinische Interventionen wie Saugglocke, Zange, Dammschnitt, Fruchtblasensprengung, Kopfschwartenelektrode
  • Geburtsdauer
  • dramatische Situation
  • „angebunden sein“ (durch CTG, Infusion, Kopfschwartenelektrode)
  • Kälte/ Hitze
  • ungemütlicher Raum/ Bett
  • medizinische Atmosphäre

Durch beteiligte Personen (Hebamme, Arzt, Partner, sonstige) und deren Verhalten, z.B.:

  • Getuschel
  • „Chemie“ stimmt nicht
  • Antipathie
  • Bemerkungen
  • Körpersprache
  • Ungeduld
  • Erwartungen an die Gebärende
  • gehen nicht auf die Wünsche/ Bedürfnisse der Gebärenden ein
  • bringen die Frau in eine von ihr nicht gewünschte Gebärhaltung

Durch das Kind, z.B.:

  • Kindslage (Verzögerung)
  • Vitalität (Dramatik)
  • Missbildung
  • Frühgeburt
  • Kindstod

Bewältigung

So verschieden wir Menschen sind, so sind es auch die Wege, die wir wählen, um mit Erlebnissen umzugehen, die uns nicht gut tun.Die Art und Weise und die Dauer einer Bewältigung sind individuell verschieden; entscheidend ist der Leidensdruck unter dem der betroffene Mensch steht.

Ein Anfang zur Bewältigung des Erlebten kann ein Gespräch sein, ein Rückblick, ein Hinfühlen…
Ich möchte Ihnen Mut zusprechen, sich wichtig und ernst zu nehmen mit all dem, was Sie erlebt haben. Immer noch ist es ein Tabuthema, wenn Frauen sich im Kreißsaal nicht gut behandelt gefühlt haben. Viele Frauen trauen sich nicht darüber zu sprechen, weil sie denken es ist „normal“ was sie erlebt haben.

Hier können Sie mich erreichen: Kontakt

Weiterführende, therapeutische Hilfe finden Sie bei:


Medien:

  • Es war eine schwere Geburt: Wie schmerzliche Erfahrungen heilen von Viresha J. Bloemeke

  • Gewalt unter der Geburt: Der alltägliche Skandal von Christina Mundlos

  • Es ist vorbei – ich weiß es nur noch nicht: Bewältigung traumatischer Geburtserfahrungen von Tanja Sahib

  • Emotionale Narben aus Schwangerschaft und Geburt auflösen: Mutter-Kind-Bindungen heilen oder unterstützen – in jedem Alter von Brigitt R. Meissner

  • Kaiserschnitt und Kaiserschnittmütter: Frauen erzählen, was sie erlebten und wie sie ihren Kaiserschnitt verarbeitet haben von Brigitte R. Meissner

  • Wie kann ich dich halten, wenn ich selbst zerbreche? Meine postpartale Depression und der Weg zurück ins Leben von Ulrike Schrimpf

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