„Wie lange stille ich mein Baby?“ Was bedeutet hierzulande „Langzeitstillen“?

Eine Stillbeziehung ist etwas sehr Persönliches und Individuelles und somit keinen Regeln unterworfen. Jede Mutter sollte sich für den Weg entscheiden können, mit dem sie und ihr Baby sich wohl fühlen. Es besteht immer wieder die Möglichkeit, neu und den jeweiligen, aktuellen Bedürfnissen entsprechend zu entscheiden. Zu einer Beziehung gehören Zwei, was bedeutet, der Wohlfühlfaktor sollte für Mutter und Baby gelten!

„Wie lange also stille ich mein Baby?“

Diese Frage stellen sich alle Mütter und die Entscheidung ist abhängig von vielen verschiedenen Faktoren:

  • von eigenen Erfahrungen, Erwartungen, eigenem Wissen
  • vom Instinkt und Selbstbewusstsein der Mutter
  • vom Einfluss des persönlichen Umfelds (z.B. der eigenen Schwieger-/ Mutter)
  • vom Vertrauen in den eigenen Körper
  • von der Einstellung des Partners
  • von gesellschaftlichen Normen
  • von der gesundheitlichen/ medizinischen Sicht
  • von der WHO Empfehlung
  • von wissenschaftlichen Studien

um nur einige Aspekte zu nennen.


 

Stillen im Kleinkindalter  oder „Langzeitstillen“

Die gesellschaftlich akzeptierte Stilldauer hierzulande beträgt ca. 12 Monate; ein laufendes, sprechendes Kind gehört nach weit verbreitetem Empfinden nicht mehr an die Mutterbrust. Vor ca. 150 Jahren wurden Kinder bist zu 2 Jahren und länger selbstverständlich gestillt, denn die lange mit Muttermilch ernährten Kinder starben seltener.
Die WHO empfiehlt heutzutage das Vollstillen bis zum 6. Lebensmonat und darüber hinaus bis zum 2. Geburtstag, damit ein optimales Gedeihen des Kindes gegeben ist.

Der Begriff „Langzeitstillen“ impliziert, dass eine Stillzeit über das 1. Lebensjahr hinaus nicht der Norm entspräche und für Mutter und Kind nachteilig sei. Die offiziellen Empfehlungen zu Beikost und weiteren Ernährung des Babys erwecken den Eindruck, dass ein Kind zu seinem 1. Geburtstag abgestillt sein sollte.
Die länger stillenden Mütter geraten unter Druck, müssen sich rechtfertigen und verteidigen, fühlen sich verunsichert und entscheiden sich manchmal dafür, heimlich weiter zu stillen. Das längere Stillen geht übrigens meistens vom Kind aus, indem es z.B. die Beikost auch nach dem 6. Lebensmonat verweigert und entsprechend seinen angeborenen Bedürfnissen weiterhin nach der Muttermilch verlangt. Damit verhält es sich so, wie es seit über 2 Mio. Jahren der physiologischen Norm der Menschheit entspricht.


Positive Aspekte des längeren Stillens:

  • Gesundheit:
    Muttermilch (im folgenden MM) enthält viele immunaktive Inhaltsstoffe; diese nehmen im 2. Lebensjahr und während des Abstillprozesses sogar zu ⇒ Schutz vor Infektionen, gerade auch dann, wenn das Kleinkind beginnt, die Welt selbständig zu erobern. Kleinkinder zwischen 16-30 Monaten werden seltener krank, die Erkrankungen dauern kürzer, der Schweregrad (z.B. bei Asthma ist niedriger), es treten seltener chronische Erkrankungen wie Diabetes, Zöliakie, Krebs, Übergewicht auf. Außerdem wird der Entstehung von Allergien vorgebeugt.
  • Nährstoffversorgung:
    Das Kind wird über die MM mit vielen wertvollen Nährstoffen, Vitaminen, Proteinen, Mineralstoffen und Fetten versorgt  ⇒ das bedeutet, dass es z.B. wenn es ein „schlechter Esser“ ist oder bei einer Fieber-oder Durchfallerkrankung 15-25% mehr Energiezufuhr erhält, nicht so leicht dehydriert und schneller gesundet als ein nicht gestilltes Kind.
  • Psycho-soziale Entwicklung:
    Das Stillen von älteren Kindern bedeutet für diese zunehmend Sicherheit, Nähe, Trost, Beruhigung und hält die enge Mutter-Kind-Beziehung stabil, während das Kind gleichzeitig immer selbständiger wird und und selber die Häufigkeit der Nähe zur Mutter steuert, was ihm Selbstvertrauen vermittelt. Man hat festgestellt, dass länger gestillte Kinder weniger psychische Probleme bekommen, besser mit Stress umgehen können, seltener eine Aufmerksamkeitsstörung entwickeln und höhere Sozialkompetenzen aufweisen.
  • Intelligenz, Leistungen in der Schule: Studien belegen einen höheren IQ bei langgestillten Kindern, belegen sogar die Dosisabhängigkeit der Auswirkungen (je länger ein Kind gestillt wurde, desto höher der IQ).
  • Suchtprävention:
    Nur nicht erfüllte kindliche Bedürfnisse haben ein mögliches Suchtverhalten zur Folge. Aus diesem Grund ist (längeres) Stillen geeignet zur Suchtprävention (die Studie von Sörensen, Mortensen von 2016 belegt, dass das Abstillen vor dem 2. Lebensmonat die Gefahr einer späteren Alkoholabhängigkeit um 50% erhöht).
  • Die mütterliche Gesundheit:
    Das Risiko an Brustkrebs, Diabetes Typ 2, Bluthochdruck, Hypercholesterinämie, Herzinfarkt, Schlaganfall, Osteoporose, Arthritis und Krebs zu erkranken, sinkt durch das Stillen (die Stilldauer beeinflusst die gesundheitlichen Auswirkungen).
    Dazu kommen die Gewichtsabnahme durch den Energieverbrauch für das Stillen und das verlängerte Ausbleiben der Monatsblutung (Blutverlust geringer).

 

Wahrscheinlich begegnen Ihnen zahlreiche Vorurteile, wenn Sie länger stillen wollen.
Mit folgenden Informationen können Sie diese widerlegen:

  • Das Vorurteil: „Ab dem 6. Monat ist das Risiko durch Schadstoffe in der MM größer als die Vorteile des Stillens“

Gegenargumente: Seit über 20 Jahren ist der Schadstoffgehalt in der Mutternilch kontinuierlich gesunken. WHO und nationale Stillkommission empfehlen das uneingeschränkte Stillen bis zum 6. Lebensmonat und sehen keinerlei gesundheitliches Risiko das Kind, auch nach der Beikosteinführung, weiter zu stillen, solange Mutter und Kind dies wünschen. Die Vorteile des Stillens nehmen mit der Stilldauer sogar zu. Nichtstillen dagegen trägt zur Schadstoffbelastung der Umwelt bei (Produktion, Transport der künstlichen Babynahrung, Herstellung und Reinigung von Saugern, Flaschen, Zubehör, Verpackung, Müllentsorgung).

  • Das Vorurteil: „Die Autonomieentwicklung des Kindes wird durch langes Stillen verhindert.“

Gegenargumente: Durch eine lange, stabile Stillbeziehung haben sich Urvertrauen und innere Sicherheit beim Kind gut entwickelt. Die konsequente, zuverlässige, adäquate Erfüllung seiner Bedürfnisse sorgt für Selbstständigkeit, weniger Trennungsängste und das Wegfallen von Übergangsobjekten wie Schnuller, Schmusedecke oder Kuscheltier.

  • Das Vorurteil: „Die Zusammensetzung MM verändert sich im Laufe der Wochen und hat dann keinen Nutzen mehr.“

Gegenargumente: Genau das ist der Vorteil der MM, dass sie sich ständig verändert, sich dem Bedarf des Kindes anpasst und bis zum Ende der Stillzeit ein hochwertiges Nahrungsmittel bleibt. Gestillte Kinder sind auch nach Einführung der Beikost besser mit Kalorien und Nährstoffen versorgt als nicht gestillte.

  • Das Vorurteil: „Das Kind wird verwöhnt.“

Das Gegenargument: Man kann Säuglinge nicht verwöhnen. Das Kind soll Urvertrauen aufbauen können und das funktioniert nur, wenn die kindlichen Grundbedürfnisse unmittelbar erfüllt werden. Kinder entwickeln erst ab der Mitte des 2. Lebensjahres eine Vorstellung des eigenen Ichs und können somit andere Personen noch gar nicht manipulieren.

  • Das Vorurteil: „Eigennutz und Egoismus der Mutter: Sie klammert und bindet das Kind an sich.“

Gegenargumente: Es ist gar nicht möglich ein Kind zum Stillen zu zwingen (siehe Stillstreik, Brustverweigerung, selbständiges Abstillen), es muss schon von sich aus an der Brust trinken wollen. Oft plant die lang stillende Mutter dieses gar nicht, das Baby verweigert vielleicht die Beikost und möchte weiter gestillt werden, so dass das lange Stillen vom Baby ausgeht. Die Mutter erkennt das Bedürfnis und stillt weiter, bis das Kind von sich aus signalisiert, dass es die Brust nicht mehr braucht.

  • Das Vorurteil: „Der Vater ist benachteiligt und wird ausgeschlossen.“

Gegenargumente: Der Vater hat viele Möglichkeiten, sich intensiv mit dem Baby zu beschäftigen und eine Beziehung aufzubauen, auch wenn er es nicht nähren kann. Manchmal reagieren Männer eifersüchtig, da die Mutter oft die meiste Zeit mit dem Baby verbringt. Wenn der Vater dann aber zuhause ist, kann er mit seinem Kind schmusen, baden, wickeln, spielen,spazieren gehen (häufig auch gerne im Tragegurt oder -tuch); für die Mutter bedeutet das oftmals eine Entlastung. Stillen und auch längeres Stillen ist nur möglich, wenn es der Vater als wichtigster Unterstützer mitträgt.

  • Das Vorurteil: „Stillen ist anstrengend und eine Belastung für die Mutter“

Gegenargumente: Stillen soll die Mutter auszehren, doch in der Schwangerschaft werden extra Fettreserven für die Stillzeit angelegt. Außerdem kann  die Mutter über eine ausreichende und gesunde Ernährung  alle benötigten Nährstoffe und genügend Kalorien zu sich nehmen. Sinnvoll ist auch, wenn die Frau jede Unterstützung für den Alltag annimmt, die sie bekommen kann, wenn es sich für sie richtig anfühlt.

  • Das Vorurteile: „Langes Stillen führt zu Karies“

Gegenargumente: Die Ursachen für Karies sind multifaktoriell, aber Muttermilch ist sicher nicht die Ursache für Karies, denn den Menschen gibt es schon seit ca. 100.000 Jahren, Karies aber erst seit 8000 Jahren. Beim Stillen werden die Zähne nicht ständig von Muttermilch umspült, das ist beim Trinken aus der Flasche anders. Außerdem ist MM nicht kariogen, weil sie nur Laktose und zudem Immunstoffe gegen das Bakterium Streptococcus mutans enthält, das verantwortlich für die Entstehung von Karies ist.

 

 

 

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